Appartment 102, OMARSKA

Ein Zeitzeugnis

Cigelj, Jadranka

234 Seiten

18,90 €
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(Auszug) APPARTEMENT 102 'Und, Frauen !' Er stand an der Tür. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen mit dem gepflegten Schnurrbart. Sein Äußeres hob die Selbstsicherheit hervor, die dieser Mann ausstrahlte - die funkelnden dunkelbraunen Augen, das sorgfältig gekämmte glänzende dichte Haar, das mit Öl oder Haargel frisiert war. Das Erscheinen des Mannes unterbrach unsere leise Unterhaltung. Schweres bleiernes Atmen erfüllte den Raum mit stummer Erwartung. Langsam glitt sein Blick über unsere Gesichter, die wir mit gebeugten Köpfen zu verstecken suchten. Meine Augen irrten umher in der Hoffnung, Unterstützung zu finden. Mein Hals pochte. Mich beschlich eine unangenehme Vorahnung, die Angst in mir wachrief. Ich versuchte, die Bedeutung dieses Besuchs zu erkennen. Aber die Panik, die so unerwartet kam wie die Flut, packte mein gesamtes Wesen. Die Fäuste, die ich vor Angst immer fester zusammendrückte, füllten sich mit klebrigem Schweiß. Heimlich suchte ich den Blick einer anderen Frau. Alle Blicke waren auf den Boden gerichtet, die Lippen fest zusammengedrückt und stumm, als ob unser Schweigen, das unendliche Minuten füllte, die Anwesenheit dieses Mannes verschwinden lassen könnte. 'Du! Du, da hinten. Mit den großen Augen. du bist neu?' Es waren nur Worte. Aber Worte, die eine Drohung in sich trugen. Keine von uns antwortete. Er sprach auch niemanden direkt an. Vorsichtig blickte ich in die Gesichter der drei Frauen, die an jenem Tag mit mir hierher gebracht worden waren. Sie starrten mich an. Mein Hals zog sich zusammen, als ich merkte, dass sich der Mann an mich wandte. Anstatt zu antworten, nickte ich fast unmerklich. Kleine Schweißtropfen sammelten sich auf meinen Lippen und tropften auf das Kinn. Ein unsinniger Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich sagte, fast laut: 'Eigentlich schwitze ich nie ' 'Hab keine Angst komm her!' Es war keine Bitte. Er bat um nichts. Es war ein abgeschwächter Befehl. Ich bewegte meine bleischweren Beine und näherte mich ihm. 'Du hast Augen wie meine Ivanka. Ja. Genau wie sie. Das habe ich sofort bemerkt.' Ich unterdrückte den Wunsch zu fliehen. Die Worte kamen eines nach dem anderen, als ob er sie sich selbst aufsagen würde. Langsam berührte er mit seinem Daumen und dem kleinen Finger mein Kinn und mit zärtlichen Berührungen wischte er die kleinen Schweißtropfen, die sich über meinen Lippen angesammelt hatten, weg. Ich traute mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen, trotz des gutwilligen Blicks, mit dem er mich anschaute. Mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung unterdrückte ich die aufkommende Panik, die sich in mir ausbreitete und mich lähmte. In diesem Raum gab es nur meine Angst und den Verursacher meiner Angst. Alles andere war weg und außerhalb meiner Reichweite. Kälte kroch meinen Rücken hinauf und verbreitete eine Gefühllosigkeit im ganzen Körper. 'Ich möchte mit dir alleine reden!' Das war ein Befehl, begleitet von einem leichten Drücken meines Kinns. Wieder suchte ich in den Augen der anderen Frauen Unterstützung. Aber ihre Augen blickten ins Leere, als ob sie so ihr eigenes Schicksal ändern könnten. Mein Blick heftete sich an den Tisch, auf dem Reste unseres Abendessens lagen. Es war mein erster Abend an diesem Ort. Seine Hand glitt von meinem Gesicht auf den Oberarm. Langsam schob er mich in Richtung Tür, aus dem hellen Raum hinaus in den dunklen Flur. Vor Angst konnte ich meine Beine kaum bewegen, während er mich mit einer merkwürdig bestimmten Geduld in die Dunkelheit schob. Ich hatte das Gefühl, sehr lange gegangen zu sein, bevor ich wieder Licht sah. Ich spürte, wie er meinen Arm losließ und mich am Rücken fest nach vorne schob, irgendwohin. 'Komm!' Ein leiser Befehl. Es lag keine Zärtlichkeit mehr in seinen Berührungen, auch nicht in der Stimme. Ich ahnte die unausgesprochene Drohung.

Vergewaltigung als Waffe im Krieg! Es gibt Ereignisse im Leben, die wir lieber vergessen würden. Aber haben wir das Recht dazu? Appartement 102 war der Raum im KZ Omarska, Bosnien, in dem Jadranka Cigelj mit siebzehn weiteren Frauen acht Wochen gefangen gehalten und gefoltert wurde. Schonungslos offen schildert sie das tägliche Leben und Überleben in einer entmenschlichten Wirklichkeit, in der Folter, Vergewaltigung und das Töten mit Messern und Fäusten, ausgeführt von ehemaligen Nachbarn und Kollegen, zum Alltag gehörten. Einem Alltag, regiert von Willkür und Gewalt, in dem die Angst als das einzig noch Verlässliche erscheint. Und sie erzählt vom trotzigen Kampf der Frauen an diesem Ort, in sich ein menschliches Antlitz zu bewahren. Denn es ist auch die wahre Geschichte zweier Menschen, die ihr ganzes Leben nach der Liebe suchten und die ihnen dort begegnet ist.

Die Autorin, Jadranka Cigelj, 54, ist bosnische Kroatin, Rechtsanwältin, Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, die am 14.Juni 1992 für fast 2 Monate im Konzentrationslager Omarska, dem berüchtigten von Serben errichteten Lager im bosnischen Krieg, eingekerkert wurde. Ungefähr 3000 Männer, meist bosnische Muslime, wurden in Omarska ermordet, dessen Kommandant, eljko Mejakic, wegen Kriegsverbrechen vor dem Tribunal in Den Haag angeklagt ist. Frau Cigelj war eine von 37 gefangenen Frauen in Omarska, fünf von ihnen wurden getötet. Sie lebt heute in Zagreb und ist Zeugin der Anklage in diesem Prozess.

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Autor Cigelj, Jadranka
Verlag Diametric Verlag
ISBN 9783938580110
ISBN/EAN 9783938580110
Lieferzeit 5 Werktage(inkl . Versand)
Erscheinungsdatum 01.12.2006
Lieferbarkeitsdatum 04.12.2020
Einband Kartoniert
Format 1.6 x 21 x 15
Seitenzahl 234 S.
Gewicht 384

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Verlag Diametric Verlag
ISBN 9783938580110
Erscheinungsdatum 01.12.2006
Einband Kartoniert
Format 1.6 x 21 x 15
Gewicht 384

(Auszug) APPARTEMENT 102 'Und, Frauen !' Er stand an der Tür. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen mit dem gepflegten Schnurrbart. Sein Äußeres hob die Selbstsicherheit hervor, die dieser Mann ausstrahlte - die funkelnden dunkelbraunen Augen, das sorgfältig gekämmte glänzende dichte Haar, das mit Öl oder Haargel frisiert war. Das Erscheinen des Mannes unterbrach unsere leise Unterhaltung. Schweres bleiernes Atmen erfüllte den Raum mit stummer Erwartung. Langsam glitt sein Blick über unsere Gesichter, die wir mit gebeugten Köpfen zu verstecken suchten. Meine Augen irrten umher in der Hoffnung, Unterstützung zu finden. Mein Hals pochte. Mich beschlich eine unangenehme Vorahnung, die Angst in mir wachrief. Ich versuchte, die Bedeutung dieses Besuchs zu erkennen. Aber die Panik, die so unerwartet kam wie die Flut, packte mein gesamtes Wesen. Die Fäuste, die ich vor Angst immer fester zusammendrückte, füllten sich mit klebrigem Schweiß. Heimlich suchte ich den Blick einer anderen Frau. Alle Blicke waren auf den Boden gerichtet, die Lippen fest zusammengedrückt und stumm, als ob unser Schweigen, das unendliche Minuten füllte, die Anwesenheit dieses Mannes verschwinden lassen könnte. 'Du! Du, da hinten. Mit den großen Augen. du bist neu?' Es waren nur Worte. Aber Worte, die eine Drohung in sich trugen. Keine von uns antwortete. Er sprach auch niemanden direkt an. Vorsichtig blickte ich in die Gesichter der drei Frauen, die an jenem Tag mit mir hierher gebracht worden waren. Sie starrten mich an. Mein Hals zog sich zusammen, als ich merkte, dass sich der Mann an mich wandte. Anstatt zu antworten, nickte ich fast unmerklich. Kleine Schweißtropfen sammelten sich auf meinen Lippen und tropften auf das Kinn. Ein unsinniger Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich sagte, fast laut: 'Eigentlich schwitze ich nie ' 'Hab keine Angst komm her!' Es war keine Bitte. Er bat um nichts. Es war ein abgeschwächter Befehl. Ich bewegte meine bleischweren Beine und näherte mich ihm. 'Du hast Augen wie meine Ivanka. Ja. Genau wie sie. Das habe ich sofort bemerkt.' Ich unterdrückte den Wunsch zu fliehen. Die Worte kamen eines nach dem anderen, als ob er sie sich selbst aufsagen würde. Langsam berührte er mit seinem Daumen und dem kleinen Finger mein Kinn und mit zärtlichen Berührungen wischte er die kleinen Schweißtropfen, die sich über meinen Lippen angesammelt hatten, weg. Ich traute mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen, trotz des gutwilligen Blicks, mit dem er mich anschaute. Mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung unterdrückte ich die aufkommende Panik, die sich in mir ausbreitete und mich lähmte. In diesem Raum gab es nur meine Angst und den Verursacher meiner Angst. Alles andere war weg und außerhalb meiner Reichweite. Kälte kroch meinen Rücken hinauf und verbreitete eine Gefühllosigkeit im ganzen Körper. 'Ich möchte mit dir alleine reden!' Das war ein Befehl, begleitet von einem leichten Drücken meines Kinns. Wieder suchte ich in den Augen der anderen Frauen Unterstützung. Aber ihre Augen blickten ins Leere, als ob sie so ihr eigenes Schicksal ändern könnten. Mein Blick heftete sich an den Tisch, auf dem Reste unseres Abendessens lagen. Es war mein erster Abend an diesem Ort. Seine Hand glitt von meinem Gesicht auf den Oberarm. Langsam schob er mich in Richtung Tür, aus dem hellen Raum hinaus in den dunklen Flur. Vor Angst konnte ich meine Beine kaum bewegen, während er mich mit einer merkwürdig bestimmten Geduld in die Dunkelheit schob. Ich hatte das Gefühl, sehr lange gegangen zu sein, bevor ich wieder Licht sah. Ich spürte, wie er meinen Arm losließ und mich am Rücken fest nach vorne schob, irgendwohin. 'Komm!' Ein leiser Befehl. Es lag keine Zärtlichkeit mehr in seinen Berührungen, auch nicht in der Stimme. Ich ahnte die unausgesprochene Drohung.

Vergewaltigung als Waffe im Krieg! Es gibt Ereignisse im Leben, die wir lieber vergessen würden. Aber haben wir das Recht dazu? Appartement 102 war der Raum im KZ Omarska, Bosnien, in dem Jadranka Cigelj mit siebzehn weiteren Frauen acht Wochen gefangen gehalten und gefoltert wurde. Schonungslos offen schildert sie das tägliche Leben und Überleben in einer entmenschlichten Wirklichkeit, in der Folter, Vergewaltigung und das Töten mit Messern und Fäusten, ausgeführt von ehemaligen Nachbarn und Kollegen, zum Alltag gehörten. Einem Alltag, regiert von Willkür und Gewalt, in dem die Angst als das einzig noch Verlässliche erscheint. Und sie erzählt vom trotzigen Kampf der Frauen an diesem Ort, in sich ein menschliches Antlitz zu bewahren. Denn es ist auch die wahre Geschichte zweier Menschen, die ihr ganzes Leben nach der Liebe suchten und die ihnen dort begegnet ist.

Die Autorin, Jadranka Cigelj, 54, ist bosnische Kroatin, Rechtsanwältin, Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, die am 14.Juni 1992 für fast 2 Monate im Konzentrationslager Omarska, dem berüchtigten von Serben errichteten Lager im bosnischen Krieg, eingekerkert wurde. Ungefähr 3000 Männer, meist bosnische Muslime, wurden in Omarska ermordet, dessen Kommandant, eljko Mejakic, wegen Kriegsverbrechen vor dem Tribunal in Den Haag angeklagt ist. Frau Cigelj war eine von 37 gefangenen Frauen in Omarska, fünf von ihnen wurden getötet. Sie lebt heute in Zagreb und ist Zeugin der Anklage in diesem Prozess.

 

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