Von Hasen und anderen Europäern

Geschichten aus Kiew

Maljartschuk, Tanja

256 Seiten

19,80 €
Inkl. 7% Steuern

Lieferzeit: Vorbestellbar

Erscheint am: 11.11.2014

Puma concolor (Der Puma) Wenn Sie in Kiew öfter in den Stadtteil Podil kommen und Haustiere haben, dann kennen Sie sicher die Zoohandlung Ihr Treuer Gefährte. Der Laden ist eigentlich nichts Besonderes. Es gibt weder Zierfische noch Amazonenpapageien, weder schmucke Meerschweinchen noch drei Meter lange Reptilien. Aber es gibt Maschka. Maschka hat einen Bart. Manchmal erlaubt sich Maschka einen Spaß und klebt sich ein Preisschild auf die Brust, als wäre sie auch zu verkaufen, denn mit ihrem Bart sieht Maschka fast aus wie ein exotischer Affe. In Wirklichkeit ist Maschka die Verkäuferin. Maschka hat Ahnung von Tieren. Sie kümmert sich um Sie und findet genau das, was Sie Ihr Leben lang gesucht haben. Sie hört Ihnen zu. Hat nützliche Tipps parat. Ihr treuer Gefährte und Sie werden gesund, satt und zufrieden sein. Solche beflissenen Menschen wie Maschka sind das Herz der ukrainischen Marktwirtschaft. Aber Maschka ist unglücklich. Sie möchte gern geliebt werden, doch es liebt sie keiner. Im Gegenteil, außerhalb des Treuen Gefährten meiden die Leute Maschkas Gesellschaft, sie flüchten vor ihr, wollen von ihr und ihrem Bart nichts wissen. Als sie klein war, ist Maschka aus dem Haus der Eltern gelaufen und hat stundenlang an der Straße gestanden in der Hoffnung, mit jemandem reden zu können, sich mit jemandem anzufreunden, jemanden zu finden, der sie liebgewinnen würde. Sie hat die Passanten mit unnützen Fragen belästigt, und die sind Hals über Kopf mit unverhohlenem Erstaunen und Ekel geflohen. Manchmal hielt es Maschka nicht mehr aus. Da lief sie zum Beispiel einer Frau, die gerade eine Lampe gekauft hatte, hin- terher und rief: "Ich bin Maschka, ich bin zwölf und habe einen Bart." Ihr Bart begann schon sehr früh zu wachsen. Jetzt kommt es Maschka so vor, als hätte sie ihn schon von Geburt an. Zuerst glänzten die Partien um ihren Mund herum silbrig, dann fühlte es sich so an, als würde die Haut aufreißen wie eine Asphaltdecke, die ein Schößling durchbricht. Maschka vergleicht ihren Bart oft mit einem Rasen. Sie kann sich rasieren, so viel sie will, der Bart wächst sofort wieder nach, dichter, stacheliger und schwärzer als zuvor. Alle zwei bis drei Tage rasiert sich Maschka gründlich mit einem chinesischen Rasierapparat und verfolgt bis zur nächsten Rasur voller Schrecken, wie ihr Gesicht seine Weiblichkeit allmählich wieder verliert. So will mich keiner, denkt Maschka, wenn keine Kunden im Laden sind. Nur meine zwei verrückten, nicht kastrierten Kater lieben mich. Die Kater sind Maschka vor zwei Jahren zugelaufen. Alle beide gleichzeitig. Sie hatten mehrere Tage lang vor der Tür ihrer Wohnung gehockt und gemauzt. Und um Einlass gebettelt. Maschka fütterte sie leichtsinnigerweise, weil sie dachte, sie mauzten vor Hunger. Die Kater verschlangen alles, aber das Mauzen ging weiter. Sie zerfetzten das Wachstuch, mit dem Maschkas Wohnungstür verkleidet war, pinkelten auf den Fußabtreter, und als Maschka eines Tages die Tür öffnete, um zur Arbeit zu gehen, schlüpft en sie hinein. Mit einem Satz waren sie auf dem Bett und schnurrten los. Maschka brachte es nicht übers Herz, sie hinauszuwerfen. Sie fand, jeder ordentliche Mitarbeiter in einer Zoohandlung müsse auch Tiere haben. Um Erfahrungen zu sammeln. Um ein Fachmann zu werden. (.)

Geschichten vom Leben in einer großen Stadt. Und was für einer Stadt! Kiew als Fokus: Minimale Verschiebungen von Realität und Fiktion holen die Leser dieser glänzend geschriebenen Geschichten ganz plötzlich aus dem Alltagsgeschehen heraus, und sie finden sich wieder in einer ungewöhnlichen, irrealen Lage. Teilt doch die Bewohnerin dieser großen Stadt Kiew ihr Leben unversehens mit einer Qualle oder einem Schmetterling, und ganz normale Stadtbewohner wie Hund und Ratte oder der gemeine europäische Hase finden sich ebenfalls ein.

Tanja Maljartschuk, geboren 1983 in Iwano-Frankiwsk in der Ukraine, Schriftstellerin. Lebt in Wien. Sie debütierte 2004 mit dem Buch "Endspiel Adolfo oder eine Rose für Lisa". Seither zahlreiche Veröffent- lichungen, darunter "Neunprozentiger Haushaltsessig" (Erzählungen) und der Roman "Biografie eines zufälligen Wunders".

Mehr Informationen
Autor Maljartschuk, Tanja
Verlag Edition fotoTapeta
ISBN 9783940524300
ISBN/EAN 9783940524300
Lieferzeit Vorbestellbar
Erscheinungsdatum 11.11.2014
Lieferbarkeitsdatum 25.09.2022
Einband Leinen
Format 2.8 x 22 x 14
Seitenzahl 256 S.
Gewicht 446

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Verlag Edition fotoTapeta
ISBN 9783940524300
Erscheinungsdatum 11.11.2014
Einband Leinen
Format 2.8 x 22 x 14
Gewicht 446

Puma concolor (Der Puma) Wenn Sie in Kiew öfter in den Stadtteil Podil kommen und Haustiere haben, dann kennen Sie sicher die Zoohandlung Ihr Treuer Gefährte. Der Laden ist eigentlich nichts Besonderes. Es gibt weder Zierfische noch Amazonenpapageien, weder schmucke Meerschweinchen noch drei Meter lange Reptilien. Aber es gibt Maschka. Maschka hat einen Bart. Manchmal erlaubt sich Maschka einen Spaß und klebt sich ein Preisschild auf die Brust, als wäre sie auch zu verkaufen, denn mit ihrem Bart sieht Maschka fast aus wie ein exotischer Affe. In Wirklichkeit ist Maschka die Verkäuferin. Maschka hat Ahnung von Tieren. Sie kümmert sich um Sie und findet genau das, was Sie Ihr Leben lang gesucht haben. Sie hört Ihnen zu. Hat nützliche Tipps parat. Ihr treuer Gefährte und Sie werden gesund, satt und zufrieden sein. Solche beflissenen Menschen wie Maschka sind das Herz der ukrainischen Marktwirtschaft. Aber Maschka ist unglücklich. Sie möchte gern geliebt werden, doch es liebt sie keiner. Im Gegenteil, außerhalb des Treuen Gefährten meiden die Leute Maschkas Gesellschaft, sie flüchten vor ihr, wollen von ihr und ihrem Bart nichts wissen. Als sie klein war, ist Maschka aus dem Haus der Eltern gelaufen und hat stundenlang an der Straße gestanden in der Hoffnung, mit jemandem reden zu können, sich mit jemandem anzufreunden, jemanden zu finden, der sie liebgewinnen würde. Sie hat die Passanten mit unnützen Fragen belästigt, und die sind Hals über Kopf mit unverhohlenem Erstaunen und Ekel geflohen. Manchmal hielt es Maschka nicht mehr aus. Da lief sie zum Beispiel einer Frau, die gerade eine Lampe gekauft hatte, hin- terher und rief: "Ich bin Maschka, ich bin zwölf und habe einen Bart." Ihr Bart begann schon sehr früh zu wachsen. Jetzt kommt es Maschka so vor, als hätte sie ihn schon von Geburt an. Zuerst glänzten die Partien um ihren Mund herum silbrig, dann fühlte es sich so an, als würde die Haut aufreißen wie eine Asphaltdecke, die ein Schößling durchbricht. Maschka vergleicht ihren Bart oft mit einem Rasen. Sie kann sich rasieren, so viel sie will, der Bart wächst sofort wieder nach, dichter, stacheliger und schwärzer als zuvor. Alle zwei bis drei Tage rasiert sich Maschka gründlich mit einem chinesischen Rasierapparat und verfolgt bis zur nächsten Rasur voller Schrecken, wie ihr Gesicht seine Weiblichkeit allmählich wieder verliert. So will mich keiner, denkt Maschka, wenn keine Kunden im Laden sind. Nur meine zwei verrückten, nicht kastrierten Kater lieben mich. Die Kater sind Maschka vor zwei Jahren zugelaufen. Alle beide gleichzeitig. Sie hatten mehrere Tage lang vor der Tür ihrer Wohnung gehockt und gemauzt. Und um Einlass gebettelt. Maschka fütterte sie leichtsinnigerweise, weil sie dachte, sie mauzten vor Hunger. Die Kater verschlangen alles, aber das Mauzen ging weiter. Sie zerfetzten das Wachstuch, mit dem Maschkas Wohnungstür verkleidet war, pinkelten auf den Fußabtreter, und als Maschka eines Tages die Tür öffnete, um zur Arbeit zu gehen, schlüpft en sie hinein. Mit einem Satz waren sie auf dem Bett und schnurrten los. Maschka brachte es nicht übers Herz, sie hinauszuwerfen. Sie fand, jeder ordentliche Mitarbeiter in einer Zoohandlung müsse auch Tiere haben. Um Erfahrungen zu sammeln. Um ein Fachmann zu werden. (.)

Geschichten vom Leben in einer großen Stadt. Und was für einer Stadt! Kiew als Fokus: Minimale Verschiebungen von Realität und Fiktion holen die Leser dieser glänzend geschriebenen Geschichten ganz plötzlich aus dem Alltagsgeschehen heraus, und sie finden sich wieder in einer ungewöhnlichen, irrealen Lage. Teilt doch die Bewohnerin dieser großen Stadt Kiew ihr Leben unversehens mit einer Qualle oder einem Schmetterling, und ganz normale Stadtbewohner wie Hund und Ratte oder der gemeine europäische Hase finden sich ebenfalls ein.

Tanja Maljartschuk, geboren 1983 in Iwano-Frankiwsk in der Ukraine, Schriftstellerin. Lebt in Wien. Sie debütierte 2004 mit dem Buch "Endspiel Adolfo oder eine Rose für Lisa". Seither zahlreiche Veröffent- lichungen, darunter "Neunprozentiger Haushaltsessig" (Erzählungen) und der Roman "Biografie eines zufälligen Wunders".

 

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