Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757-1762

Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg, Olzog-Edition

Stange, Jörg Ulrich

492 Seiten, 35 s/w Illustr.

38,00 €
Inkl. 7% Steuern

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Vorwort Wozu eine weitere Abhandlung über einen scheinbar recht gut erforschten Abschnitt der europäischen Geschichte, wenn die Anzahl von Veröffentlichungen über das historische Ostpreußen, über den Preußenkönig FriedrichII. oder über den Siebenjährigen Krieg auf den ersten Blick umfassend ausfällt? Bei den anfänglichen Studien, die dieser Arbeit vorausgingen, war nicht absehbar, welchen Umfang die Recherchen annehmen und welche aufschlussreichen Ergebnisse am Ende daraus hervorgehen würden. Während der Ausarbeitung eines Vortrages über Zar PeterIII. und die von ihm veranlasste Rückgabe der Provinz »Preußen« an FriedrichII. musste der Autor zwar feststellen, dass eine gewisse Zahl von Aufsätzen zu Einzelaspekten der Thematik »Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg« veröffentlicht wurde, auch eine überschaubare Reihe zeitgenössischer Quellen vorzufinden sind, aber keine abgeschlossene Abhandlung zu diesem Teil des Siebenjährigen Krieges existiert, der zugleich in vielerlei Hinsicht einen durchaus bemerkenswerten Abschnitt in der Geschichte des Königreiches Preußen darstellt. Die Besetzung Ostpreußens durch die Sowjetarmee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und die sich daran anschließende Leidenszeit der deutschen Bevölkerung in den Folgejahren ist bestens dokumentiert und aufgearbeitet worden. Hingegen finden sich heute so gut wie ­keine Darstellungen über die russische Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg. Eine zuverlässige Quelle ist in diesem Zusammenhang das Tagebuch des Königsberger Professors für Literatur, Johann Georg(e) Bock (1698-1762), der die Russenzeit Ostpreußens bis zum Jahresende 1760 dokumentiert hat. Darüber hinaus ergänzen die Schriften und Korrespondenzen des Preußenkönigs FriedrichII. (1712-1786) sowie die Veröffentlichungen des Großen Generalstabes über die Kriegsjahre 1756 bis 1763 als einschlägige Quellen die Materialbasis dieser Abhandlung. Der Flügeladjutant des Königs Henning Bernd von der Goltz (1718-1757), auch Generalintendant der ostpreußischen Armee unter Lehwaldt, nicht zu verwechseln mit Wilhelm Bernhard von der Goltz (1736-1795), hinterließ eine Reihe von faktenreichen Briefen über die preußische Mobilisierungskampagne zwischen Weichsel und Memel. Ernst von Frisch bearbeitete Anfang des 20.Jahrhunderts die Tagebücher und Berichte von drei österreichischen Militärbevollmächtigten, die im Stab der russischen Armee 1757-1758 eingesetzt wurden. Wenn diese Offiziere über die Truppen des Verbündeten auch keine streng objektiven Beurteilungen niederschrieben, so lassen sie es in ihren Aufzeichnungen doch nicht an Kritik an den Gegebenheiten in der russischen Armee mangeln. Insofern stellt Frischs Abhandlung eine wertvolle Quelle dar. Georg Friedrich von Martens stellte gegen Ende des 18.Jahrhunderts eine beachtliche Sammlung an wichtigen Vertragstexten europä­ischer Mächte zusammen. Die darin enthaltenen, z.T. mehrsprachigen und vollständigen Vereinbarungen zwischen Brandenburg-Preußen und dem Russischen Reich dienten der vorliegenden Arbeit als unerlässliche fundierte Grundlage. Es existiert außerdem die stark nationalistisch gefärbte Darstellung Xaver von Hasenkamps aus der Mitte des 19.Jahrhunderts über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg mit einer Reihe widerlegter angeblicher Übergriffe der Russen auf die ostpreußische Bevölkerung. Dennoch bietet Hasenkamp eine umfangreiche und durchaus auch verifizierbare Datenfülle in seinem Werk. Der Autor, der seinerzeit noch Zugang zu den regionalen Archiven in Ostpreußen ­hatte, beklagte schon damals die unwiederbringliche Vernichtung etlicher Dokumente und Akten während der französischen Besatzungszeit unter NapoleonI. (1769-1821). Und auch Hasenkamp wünschte sich schon 1866, dass die Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg wissenschaftlich gründlicher aufgearbeitet werden möge, als es seine beachtliche Sammlung an Dokumenten und Chroniken zu leisten vermochte. Sein Werk sei »() lediglich als Vorarbeit für spätere Forschung« zu betrachten. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts ­wurde eine recht überschaubare Dissertation von Georg von Frantzius zu diesem Thema verfasst. Von russischer Seite ist der Bericht über den ersten Feldzug gegen Ostpreußen, niedergeschrieben vom Generalquartiermeister Hans Hein­rich von Weymarn (1718-1792), ein Baltendeutscher in kaiserlich-russischen Diensten, eine ausführliche und detailreiche Quelle. Die autobiografischen Aufzeichnungen Andrej Timofejewitsch Bolotows (1738-1833), der als Offizier sowohl an den beiden Feldzügen der Russen gegen Ostpreußen teilgenommen hat als auch in Königsberg die russische Besatzungsherrschaft als Kanzleischreiber direkt verfolgen konnte und später in St. Petersburg die Regierungszeit ­PetersIII. als Augenzeuge erlebte, erwiesen sich ebenfalls als ergiebige Quelle für diese Arbeit. Es liegen außerdem die 1891 veröffentlichten Bände des Obersten im russischen Generalstab Masslowski über die Feldzüge der Oberbefehlshaber Stephan Fjodorowitsch Apraxin (1702-1758) und Wilhelm von Fermor (1702-1771) vor, die jedoch stark parteilich gefärbt und betont nationalrussisch orientiert verfasst sind. Sowohl an Hasenkamps als auch an Masslowskis Darstellungen ist zu kritisieren, dass zum Zeitpunkt des Siebenjährigen Krieges nationalstaatliche ­Kategorien noch kein Maßstab waren und deshalb diese Epoche nicht anhand politischer Normen der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beurteilt werden sollte. Eine aktuelle Gesamtdarstellung zur russischen Diplomatie im Siebenjährigen Krieg, erstellt auf breiter Quellenbasis, liegt in M.Y. ­Anisimovs Studie vor. Der russische Historiker analysiert das preußisch-russische Verhältnis dieser Jahre und die ostpreußische Frage in den Verhandlungen der Alliierten anhand breit gefächerter Archivmaterialien. Eine moderne Gesamtgeschichte in deutscher Sprache über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg fehlt allerdings bisher. Diese Arbeit stellt daher den Versuch dar, aus dem vorhandenen deutschen, dem begrenzt zugänglichen russischen Quellenmaterial und auf der Grundlage bereits dargestellter Teilaspekte dieses Schauplatzes eine möglichst breite Übersicht des Themenkomplexes Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg zu bieten. Die vorliegende Darstellung erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Quellensammlung vorzuweisen oder eine vertiefende Archivforschungsarbeit zu liefern. Russische Dokumente blieben dem Autor, bis auf wenige Ausnahmen, aus sprachlichen und geografischen Gründen unzugänglich. Es ­musste, falls es geboten erschien, in Einzelfällen auf bereits ediertes Material zurückgegriffen werden. Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um die erste Monografie dieses Gegenstandes, die frei von borussophiler Siegerverklärung und antirussischer Voreingenommenheit die Vorgeschichte, den Verlauf und die Beendigung der russischen ­Okkupation von Preußens östlichster Provinz darstellt. Neben dem Problem der dürftigen Quellenlage ist allerdings eine den Forschungsgegenstand überlagernde interessante Frage zu stellen, warum es bisher keine umfassende Abhandlung der russischen Besatzungszeit in Ostpreußen 1757-1762 gegeben hat. Die Standardwerke über die Zeit Friedrichs des Großen des 19. und frühen 20.Jahrhunderts, oft getränkt mit dem Pathos der Heldenhaftigkeit und Übergröße dieses Königs, stellen alle Schlachten und Ereignisse des Siebenjährigen Krieges umfangreich dar; Ostpreußen wird dabei jedoch meist nur beiläufig oder überhaupt nicht genannt. Den jeweils zeitlich abgegrenzten schlesischen, böhmischen, märkischen Kriegsschauplätzen, selbst der Provinz Pommern widmeten die Historiker erheblich mehr Raum als dem fünf Jahre währenden Dauerschauplatz zwischen Weichsel und Memel. Das Übergehen Ostpreußens in Darstellungen über den Siebenjährigen Krieg wurde von den meisten Autoren, die sich mit dieser Provinz oder der Thematik dieses Krieges auseinandergesetzt haben, bis heute beibehalten. Schon Fried...

Ein ebenso interessanter wie nahezu unbekannter Abschnitt der preußischen und vor allem ostpreußischen Geschichte wird in diesem bemerkenswerten historischen Sachbuch von Jörg Ulrich Stange spannend und wissenschaftlich fundiert dargestellt: Das zuvor in einem derartigen Umfang noch nicht dokumentierte, über fünf Jahre währende ungewöhnliche Schicksal Ostpreußens unter russischer Besatzung im Siebenjährigen Krieg. Der Autor beschreibt wie Friedrich II. sich gegen seine erklärte Absicht Russland zum Feind machte und weder persönlich willens noch militärisch in der Lage war, seine östlichste Provinz gegen die Russen zu verteidigen. Eine Reihe von bisher als historisch verbürgt geltender Vorgänge werden in diesem Buch in schlüssiger Beweisführung anhand der Quellen ins Reich der Irrtümer verwiesen: Nahm Friedrich II. es seinen Untertanen in Ostpreußen tatsächlich übel, dass sie sich der Zarin freiwillig unterwarfen oder hatte der König andere Motive, den Menschen zwischen Weichsel und Memel zu grollen? War es tatsächlich die Absicht der Zarin Elisabeth, Ostpreußen dem Russischen Reich einzuverleiben? Was geben die Quellen dazu her? Folgte der neue russische Zar aus Holstein, Peter III., beim Abschluss des Friedensvertrages 1762 wirklich blind den Vorgaben Friedrichs II. und machte sich auf diese Weise zu seinem Vasallen, wie häufig behauptet wird? Daraus ergibt sich ein weiterer, vor allem von russischen Historikern verbreiteter Vorwurf gegen Peter III.: Hat der 186-Tage-Zar Ostpreußen ohne Gegenleistung an Friedrich zurückgegeben und die neue Machtstellung Russlands in Europa dadurch geschwächt? Die Faktenlage, wie sie hier ausführlich dargelegt wird, gibt auf diese Fragen quellenbasierte, schlüssige, aber sicherlich auch unerwartete Antworten. Aber das neue Buch über Ostpreußen birgt weitere Überraschungen: Der Autor schildert mit gründlicher Ausführlichkeit die fast unglaublichen Vorgänge einer Verschwörung im zaristischen Machtzentrum, die zum Scheitern des ersten Feldzuges der Russen 1757 geführt haben und die zum Teil bis heute nicht abschließend geklärt werden konnten. In einem weiteren Kapitel wird anhand der Quellen illustrativ und lebendig dargelegt wie sich das gesellschaftliche Leben der pietistischen Ostpreußen unter den Russen wandelte. Der Verfasser geht bei der Prüfung zahlreicher, wenig bekannter Tatsachen der Frage nach, ob der vereinzelt verwendete Begriff goldene Russenjahre im Zusammenhang mit der Besatzungspolitik gerechtfertigt scheint. Schließlich wird das Problem des 1762 bevorstehenden Krieges Dänemark gegen Russland multiperspektivisch untersucht, die Schlüsselstellung, die Ostpreußen dabei einnimmt, ausführlich beleuchtet und der gängigen monokausalen Erklärung zulasten Peters III. werden alternative Fakten gegenübergestellt. Nach langer Zeit endlich wieder eine Buchveröffentlichung, die wirklich etwas Neues über das untergegangene Ostpreußen zu bieten hat. Eine ergiebige Studie mit umfangreichem Quellenanhang, die weder in Bibliotheken noch in historischen Forschungseinrichtungen fehlen darf, an der sich aber vor allem die geschichtlich interessierte Leserschaft erfreuen wird.

Jörg Ulrich Stange wurde 1955 in Kiel mit ostpreußischen Wurzeln geboren. Er studierte Geschichte und Anglistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, absolvierte ein Studienjahr in Großbritannien und ist seit 1985 im Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein tätig. Seit 2012 kuratiert er die Ausstellung Der Kieler Prinz auf dem Zarenthron über den holsteinischen Herzog und russischen Kaiser Peter III. Jörg Ulrich Stange veröffentlichte eine Vielzahl von Beiträgen zur deutsch-russischen Geschichte, hielt Vorträge u. a. in Moskau und St. Petersburg. Er war als Gesprächspartner Gast in deutschen und russischen Rundfunk- und Fernsehsendungen. 2021 erschien sein Buch Aufregung im Ostseeschloss, die tragische Kindheitsgeschichte des späteren russischen Zaren Peter III. Jörg Ulrich Stange veröffentlicht mit der Abhandlung Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757-1762. Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg erstmals eine umfassende Monografie über eines der Schlüsselereignisse der preußischen Geschichte, das in der Historiografie bisher kaum Beachtung gefunden hat.

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Autor Stange, Jörg Ulrich
Verlag Lau-Verlag & Handel KG
ISBN 9783957682482
ISBN/EAN 9783957682482
Lieferzeit 5 Werktage(inkl . Versand)
Erscheinungsdatum 20.12.2022
Lieferbarkeitsdatum 17.04.2023
Einband Gebunden
Format 3.7 x 23.3 x 16
Seitenzahl 492 S., 35 s/w Illustr.
Gewicht 845

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Verlag Lau-Verlag & Handel KG
ISBN 9783957682482
Erscheinungsdatum 20.12.2022
Einband Gebunden
Format 3.7 x 23.3 x 16
Gewicht 845

Vorwort Wozu eine weitere Abhandlung über einen scheinbar recht gut erforschten Abschnitt der europäischen Geschichte, wenn die Anzahl von Veröffentlichungen über das historische Ostpreußen, über den Preußenkönig FriedrichII. oder über den Siebenjährigen Krieg auf den ersten Blick umfassend ausfällt? Bei den anfänglichen Studien, die dieser Arbeit vorausgingen, war nicht absehbar, welchen Umfang die Recherchen annehmen und welche aufschlussreichen Ergebnisse am Ende daraus hervorgehen würden. Während der Ausarbeitung eines Vortrages über Zar PeterIII. und die von ihm veranlasste Rückgabe der Provinz »Preußen« an FriedrichII. musste der Autor zwar feststellen, dass eine gewisse Zahl von Aufsätzen zu Einzelaspekten der Thematik »Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg« veröffentlicht wurde, auch eine überschaubare Reihe zeitgenössischer Quellen vorzufinden sind, aber keine abgeschlossene Abhandlung zu diesem Teil des Siebenjährigen Krieges existiert, der zugleich in vielerlei Hinsicht einen durchaus bemerkenswerten Abschnitt in der Geschichte des Königreiches Preußen darstellt. Die Besetzung Ostpreußens durch die Sowjetarmee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und die sich daran anschließende Leidenszeit der deutschen Bevölkerung in den Folgejahren ist bestens dokumentiert und aufgearbeitet worden. Hingegen finden sich heute so gut wie ­keine Darstellungen über die russische Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg. Eine zuverlässige Quelle ist in diesem Zusammenhang das Tagebuch des Königsberger Professors für Literatur, Johann Georg(e) Bock (1698-1762), der die Russenzeit Ostpreußens bis zum Jahresende 1760 dokumentiert hat. Darüber hinaus ergänzen die Schriften und Korrespondenzen des Preußenkönigs FriedrichII. (1712-1786) sowie die Veröffentlichungen des Großen Generalstabes über die Kriegsjahre 1756 bis 1763 als einschlägige Quellen die Materialbasis dieser Abhandlung. Der Flügeladjutant des Königs Henning Bernd von der Goltz (1718-1757), auch Generalintendant der ostpreußischen Armee unter Lehwaldt, nicht zu verwechseln mit Wilhelm Bernhard von der Goltz (1736-1795), hinterließ eine Reihe von faktenreichen Briefen über die preußische Mobilisierungskampagne zwischen Weichsel und Memel. Ernst von Frisch bearbeitete Anfang des 20.Jahrhunderts die Tagebücher und Berichte von drei österreichischen Militärbevollmächtigten, die im Stab der russischen Armee 1757-1758 eingesetzt wurden. Wenn diese Offiziere über die Truppen des Verbündeten auch keine streng objektiven Beurteilungen niederschrieben, so lassen sie es in ihren Aufzeichnungen doch nicht an Kritik an den Gegebenheiten in der russischen Armee mangeln. Insofern stellt Frischs Abhandlung eine wertvolle Quelle dar. Georg Friedrich von Martens stellte gegen Ende des 18.Jahrhunderts eine beachtliche Sammlung an wichtigen Vertragstexten europä­ischer Mächte zusammen. Die darin enthaltenen, z.T. mehrsprachigen und vollständigen Vereinbarungen zwischen Brandenburg-Preußen und dem Russischen Reich dienten der vorliegenden Arbeit als unerlässliche fundierte Grundlage. Es existiert außerdem die stark nationalistisch gefärbte Darstellung Xaver von Hasenkamps aus der Mitte des 19.Jahrhunderts über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg mit einer Reihe widerlegter angeblicher Übergriffe der Russen auf die ostpreußische Bevölkerung. Dennoch bietet Hasenkamp eine umfangreiche und durchaus auch verifizierbare Datenfülle in seinem Werk. Der Autor, der seinerzeit noch Zugang zu den regionalen Archiven in Ostpreußen ­hatte, beklagte schon damals die unwiederbringliche Vernichtung etlicher Dokumente und Akten während der französischen Besatzungszeit unter NapoleonI. (1769-1821). Und auch Hasenkamp wünschte sich schon 1866, dass die Zeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg wissenschaftlich gründlicher aufgearbeitet werden möge, als es seine beachtliche Sammlung an Dokumenten und Chroniken zu leisten vermochte. Sein Werk sei »() lediglich als Vorarbeit für spätere Forschung« zu betrachten. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts ­wurde eine recht überschaubare Dissertation von Georg von Frantzius zu diesem Thema verfasst. Von russischer Seite ist der Bericht über den ersten Feldzug gegen Ostpreußen, niedergeschrieben vom Generalquartiermeister Hans Hein­rich von Weymarn (1718-1792), ein Baltendeutscher in kaiserlich-russischen Diensten, eine ausführliche und detailreiche Quelle. Die autobiografischen Aufzeichnungen Andrej Timofejewitsch Bolotows (1738-1833), der als Offizier sowohl an den beiden Feldzügen der Russen gegen Ostpreußen teilgenommen hat als auch in Königsberg die russische Besatzungsherrschaft als Kanzleischreiber direkt verfolgen konnte und später in St. Petersburg die Regierungszeit ­PetersIII. als Augenzeuge erlebte, erwiesen sich ebenfalls als ergiebige Quelle für diese Arbeit. Es liegen außerdem die 1891 veröffentlichten Bände des Obersten im russischen Generalstab Masslowski über die Feldzüge der Oberbefehlshaber Stephan Fjodorowitsch Apraxin (1702-1758) und Wilhelm von Fermor (1702-1771) vor, die jedoch stark parteilich gefärbt und betont nationalrussisch orientiert verfasst sind. Sowohl an Hasenkamps als auch an Masslowskis Darstellungen ist zu kritisieren, dass zum Zeitpunkt des Siebenjährigen Krieges nationalstaatliche ­Kategorien noch kein Maßstab waren und deshalb diese Epoche nicht anhand politischer Normen der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beurteilt werden sollte. Eine aktuelle Gesamtdarstellung zur russischen Diplomatie im Siebenjährigen Krieg, erstellt auf breiter Quellenbasis, liegt in M.Y. ­Anisimovs Studie vor. Der russische Historiker analysiert das preußisch-russische Verhältnis dieser Jahre und die ostpreußische Frage in den Verhandlungen der Alliierten anhand breit gefächerter Archivmaterialien. Eine moderne Gesamtgeschichte in deutscher Sprache über die russische Besatzungszeit Ostpreußens im Siebenjährigen Krieg fehlt allerdings bisher. Diese Arbeit stellt daher den Versuch dar, aus dem vorhandenen deutschen, dem begrenzt zugänglichen russischen Quellenmaterial und auf der Grundlage bereits dargestellter Teilaspekte dieses Schauplatzes eine möglichst breite Übersicht des Themenkomplexes Ostpreußen im Siebenjährigen Krieg zu bieten. Die vorliegende Darstellung erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Quellensammlung vorzuweisen oder eine vertiefende Archivforschungsarbeit zu liefern. Russische Dokumente blieben dem Autor, bis auf wenige Ausnahmen, aus sprachlichen und geografischen Gründen unzugänglich. Es ­musste, falls es geboten erschien, in Einzelfällen auf bereits ediertes Material zurückgegriffen werden. Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um die erste Monografie dieses Gegenstandes, die frei von borussophiler Siegerverklärung und antirussischer Voreingenommenheit die Vorgeschichte, den Verlauf und die Beendigung der russischen ­Okkupation von Preußens östlichster Provinz darstellt. Neben dem Problem der dürftigen Quellenlage ist allerdings eine den Forschungsgegenstand überlagernde interessante Frage zu stellen, warum es bisher keine umfassende Abhandlung der russischen Besatzungszeit in Ostpreußen 1757-1762 gegeben hat. Die Standardwerke über die Zeit Friedrichs des Großen des 19. und frühen 20.Jahrhunderts, oft getränkt mit dem Pathos der Heldenhaftigkeit und Übergröße dieses Königs, stellen alle Schlachten und Ereignisse des Siebenjährigen Krieges umfangreich dar; Ostpreußen wird dabei jedoch meist nur beiläufig oder überhaupt nicht genannt. Den jeweils zeitlich abgegrenzten schlesischen, böhmischen, märkischen Kriegsschauplätzen, selbst der Provinz Pommern widmeten die Historiker erheblich mehr Raum als dem fünf Jahre währenden Dauerschauplatz zwischen Weichsel und Memel. Das Übergehen Ostpreußens in Darstellungen über den Siebenjährigen Krieg wurde von den meisten Autoren, die sich mit dieser Provinz oder der Thematik dieses Krieges auseinandergesetzt haben, bis heute beibehalten. Schon Fried...

Ein ebenso interessanter wie nahezu unbekannter Abschnitt der preußischen und vor allem ostpreußischen Geschichte wird in diesem bemerkenswerten historischen Sachbuch von Jörg Ulrich Stange spannend und wissenschaftlich fundiert dargestellt: Das zuvor in einem derartigen Umfang noch nicht dokumentierte, über fünf Jahre währende ungewöhnliche Schicksal Ostpreußens unter russischer Besatzung im Siebenjährigen Krieg. Der Autor beschreibt wie Friedrich II. sich gegen seine erklärte Absicht Russland zum Feind machte und weder persönlich willens noch militärisch in der Lage war, seine östlichste Provinz gegen die Russen zu verteidigen. Eine Reihe von bisher als historisch verbürgt geltender Vorgänge werden in diesem Buch in schlüssiger Beweisführung anhand der Quellen ins Reich der Irrtümer verwiesen: Nahm Friedrich II. es seinen Untertanen in Ostpreußen tatsächlich übel, dass sie sich der Zarin freiwillig unterwarfen oder hatte der König andere Motive, den Menschen zwischen Weichsel und Memel zu grollen? War es tatsächlich die Absicht der Zarin Elisabeth, Ostpreußen dem Russischen Reich einzuverleiben? Was geben die Quellen dazu her? Folgte der neue russische Zar aus Holstein, Peter III., beim Abschluss des Friedensvertrages 1762 wirklich blind den Vorgaben Friedrichs II. und machte sich auf diese Weise zu seinem Vasallen, wie häufig behauptet wird? Daraus ergibt sich ein weiterer, vor allem von russischen Historikern verbreiteter Vorwurf gegen Peter III.: Hat der 186-Tage-Zar Ostpreußen ohne Gegenleistung an Friedrich zurückgegeben und die neue Machtstellung Russlands in Europa dadurch geschwächt? Die Faktenlage, wie sie hier ausführlich dargelegt wird, gibt auf diese Fragen quellenbasierte, schlüssige, aber sicherlich auch unerwartete Antworten. Aber das neue Buch über Ostpreußen birgt weitere Überraschungen: Der Autor schildert mit gründlicher Ausführlichkeit die fast unglaublichen Vorgänge einer Verschwörung im zaristischen Machtzentrum, die zum Scheitern des ersten Feldzuges der Russen 1757 geführt haben und die zum Teil bis heute nicht abschließend geklärt werden konnten. In einem weiteren Kapitel wird anhand der Quellen illustrativ und lebendig dargelegt wie sich das gesellschaftliche Leben der pietistischen Ostpreußen unter den Russen wandelte. Der Verfasser geht bei der Prüfung zahlreicher, wenig bekannter Tatsachen der Frage nach, ob der vereinzelt verwendete Begriff goldene Russenjahre im Zusammenhang mit der Besatzungspolitik gerechtfertigt scheint. Schließlich wird das Problem des 1762 bevorstehenden Krieges Dänemark gegen Russland multiperspektivisch untersucht, die Schlüsselstellung, die Ostpreußen dabei einnimmt, ausführlich beleuchtet und der gängigen monokausalen Erklärung zulasten Peters III. werden alternative Fakten gegenübergestellt. Nach langer Zeit endlich wieder eine Buchveröffentlichung, die wirklich etwas Neues über das untergegangene Ostpreußen zu bieten hat. Eine ergiebige Studie mit umfangreichem Quellenanhang, die weder in Bibliotheken noch in historischen Forschungseinrichtungen fehlen darf, an der sich aber vor allem die geschichtlich interessierte Leserschaft erfreuen wird.

Jörg Ulrich Stange wurde 1955 in Kiel mit ostpreußischen Wurzeln geboren. Er studierte Geschichte und Anglistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, absolvierte ein Studienjahr in Großbritannien und ist seit 1985 im Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein tätig. Seit 2012 kuratiert er die Ausstellung Der Kieler Prinz auf dem Zarenthron über den holsteinischen Herzog und russischen Kaiser Peter III. Jörg Ulrich Stange veröffentlichte eine Vielzahl von Beiträgen zur deutsch-russischen Geschichte, hielt Vorträge u. a. in Moskau und St. Petersburg. Er war als Gesprächspartner Gast in deutschen und russischen Rundfunk- und Fernsehsendungen. 2021 erschien sein Buch Aufregung im Ostseeschloss, die tragische Kindheitsgeschichte des späteren russischen Zaren Peter III. Jörg Ulrich Stange veröffentlicht mit der Abhandlung Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757-1762. Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg erstmals eine umfassende Monografie über eines der Schlüsselereignisse der preußischen Geschichte, das in der Historiografie bisher kaum Beachtung gefunden hat.

 

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