Der Teufel hat keine Zeit

Philosophisch-politische Betrachtungen

Strassberg, Daniel

256 Seiten

26,00 €
Inkl. 7% Steuern

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'Warum in aller Welt sollen wir nicht manchmal nach Erkenntnis streben, manchmal Lust auf Lust haben, manchmal dankbar für ein wenig Anerkennung sein? Und manchmal auch einfach gar nichts wollen?' 'Die meisten Menschen leben ihr Leben nicht nach einem Plan, der einen Weg und ein Ziel festlegt. In der banalen Wirklichkeit fahren wir auf Sicht. Wir reagieren auf das, was uns widerfährt, machen Umwege, verfahren uns manchmal oder legen eine Pause ein. Kurz gesagt, wir wurschteln uns durch und bemühen uns doch, meistens das Richtige zu tun. Glücklicherweise haben die Menschen eine unglaubliche Virtuosität entwickelt, den Widerspruch zwischen ihren Überzeugungen und ihrem realen Verhalten zu eliminieren. Nur in den seltensten Fällen passen die Menschen ihr Verhalten vollständig ihren Überzeugungen an, meistens ent-wickeln sie eine Ad-hoc-Theorie, die den Widerspruch wegerklärt. In der Alltagssprache nennt man das Ausrede. Selbstbetrug und seine Verwandten Heuchelei, Ausrede und Feigheit haben einen denkbar schlechten Ruf. Wir sind allzeit dazu aufgerufen, schonungslos ehrlich zu uns selbst zu sein. Doch ein Leben ohne ein gerüttelt Maß an Selbstbetrug ist unerträglich. Ausreden ermöglichen es, Widersprüche zu leben, ohne dauernd über sie nachdenken zu müssen; sie erlauben es, Identitäten zu wechseln, ohne daran zu zerbrechen; und sie halten die Einheit des Ichs aufrecht, ohne dass dieses dadurch eindimensional würde. Nicht zuletzt haftet der Ausrede etwas Widerständiges an. Sie ermöglicht es, dem Terror der Einheitlichkeit zu entkommen und auch dem Zwang, immer mit sich selbst übereinstimmen zu müssen. Je totalitärer eine Gesellschaft ist, desto unentbehrlicher wird die Fähigkeit zu heucheln. An der unbeschränkten Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu betrügen, ist deshalb noch jeder Umerziehungsplan der Menschheitsgeschichte gescheitert - glücklicherweise, muss man sagen.'

Daniel Strassberg verbindet in seinen lebensnahen philosophischen Essays auf eine bestechende Weise seine psychoanalytische Erfahrung mit philosophischen Gedanken, und nie fehlt ihnen ein aktueller Bezug. Seine Überlegungen kreisen alle um das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und speisen sich aus einem tiefen Wissen darum, dass der Mensch aus der lebendigen Gesamtheit seiner Eigenschaften und nicht aus etwas Einzelnem, Bestimmtem, seinem Bewusstsein etwa, besteht. Er beschäftigt sich mit Fragen wie, wo der Umschlagpunkt einer Befreiungsbewegung in etwas Totalitäres liegt oder ob wir unserer Existenz ein übergeordnetes Ziel geben müssen, um Erfüllung zu erlangen, oder warum unsere Demokratien mehr gelassene Skepsis brauchen als kontroverse Debatten. Es finden sich so schöne Vorschläge darin wie der, den Monat Juni doch mal einfach meinungsfrei zu halten, seine vermeintlichen Überzeugungen abzulegen, keine Likes, keine Bewertungen, keine Urteile, keine Behauptungen, nur Beschreibungen und Erzählungen von sich zu geben. Das ist zwar nicht einfach, aber man kommt ohne seine Meinungsrüstung den Dingen und den Menschen näher, verborgene Eigenschaften werden spürbar, die vielfältiger und farbiger sind und voller Widersprüche.

Daniel Strassberg, 1954 in St Gallen geboren, lebt in Zürich. Er ist Psychiater und hat in Philosophie promoviert, arbeitet seit 1985 als Psychoanalytiker und unterrichtet Philosophie an verschiedenen Universitäten. Er ist Mitbegründer des Netzwerks Entresol. Unter anderem sind von ihm die Bücher Der Wahnsinn der Philosophie. Verrückte Vernunft von Platon bis Deleuze (2014) und zuletzt Spektakuläre Maschinen. Eine Affektgeschichte der Technik (2022) erschienen. Seit 2018 schreibt er in der Onlinezeitung Republik monatlich eine philosophisch-politische Kolumne.

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Autor Strassberg, Daniel
Verlag Rotpunkt Verlag
ISBN 9783858699602
ISBN/EAN 9783858699602
Lieferzeit 5 Werktage(inkl . Versand)
Erscheinungsdatum 18.05.2022
Lieferbarkeitsdatum 26.09.2022
Einband Gebunden
Format 2 x 21 x 11.5
Seitenzahl 256 S.
Gewicht 308

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Verlag Rotpunkt Verlag
ISBN 9783858699602
Erscheinungsdatum 18.05.2022
Einband Gebunden
Format 2 x 21 x 11.5
Gewicht 308

'Warum in aller Welt sollen wir nicht manchmal nach Erkenntnis streben, manchmal Lust auf Lust haben, manchmal dankbar für ein wenig Anerkennung sein? Und manchmal auch einfach gar nichts wollen?' 'Die meisten Menschen leben ihr Leben nicht nach einem Plan, der einen Weg und ein Ziel festlegt. In der banalen Wirklichkeit fahren wir auf Sicht. Wir reagieren auf das, was uns widerfährt, machen Umwege, verfahren uns manchmal oder legen eine Pause ein. Kurz gesagt, wir wurschteln uns durch und bemühen uns doch, meistens das Richtige zu tun. Glücklicherweise haben die Menschen eine unglaubliche Virtuosität entwickelt, den Widerspruch zwischen ihren Überzeugungen und ihrem realen Verhalten zu eliminieren. Nur in den seltensten Fällen passen die Menschen ihr Verhalten vollständig ihren Überzeugungen an, meistens ent-wickeln sie eine Ad-hoc-Theorie, die den Widerspruch wegerklärt. In der Alltagssprache nennt man das Ausrede. Selbstbetrug und seine Verwandten Heuchelei, Ausrede und Feigheit haben einen denkbar schlechten Ruf. Wir sind allzeit dazu aufgerufen, schonungslos ehrlich zu uns selbst zu sein. Doch ein Leben ohne ein gerüttelt Maß an Selbstbetrug ist unerträglich. Ausreden ermöglichen es, Widersprüche zu leben, ohne dauernd über sie nachdenken zu müssen; sie erlauben es, Identitäten zu wechseln, ohne daran zu zerbrechen; und sie halten die Einheit des Ichs aufrecht, ohne dass dieses dadurch eindimensional würde. Nicht zuletzt haftet der Ausrede etwas Widerständiges an. Sie ermöglicht es, dem Terror der Einheitlichkeit zu entkommen und auch dem Zwang, immer mit sich selbst übereinstimmen zu müssen. Je totalitärer eine Gesellschaft ist, desto unentbehrlicher wird die Fähigkeit zu heucheln. An der unbeschränkten Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu betrügen, ist deshalb noch jeder Umerziehungsplan der Menschheitsgeschichte gescheitert - glücklicherweise, muss man sagen.'

Daniel Strassberg verbindet in seinen lebensnahen philosophischen Essays auf eine bestechende Weise seine psychoanalytische Erfahrung mit philosophischen Gedanken, und nie fehlt ihnen ein aktueller Bezug. Seine Überlegungen kreisen alle um das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und speisen sich aus einem tiefen Wissen darum, dass der Mensch aus der lebendigen Gesamtheit seiner Eigenschaften und nicht aus etwas Einzelnem, Bestimmtem, seinem Bewusstsein etwa, besteht. Er beschäftigt sich mit Fragen wie, wo der Umschlagpunkt einer Befreiungsbewegung in etwas Totalitäres liegt oder ob wir unserer Existenz ein übergeordnetes Ziel geben müssen, um Erfüllung zu erlangen, oder warum unsere Demokratien mehr gelassene Skepsis brauchen als kontroverse Debatten. Es finden sich so schöne Vorschläge darin wie der, den Monat Juni doch mal einfach meinungsfrei zu halten, seine vermeintlichen Überzeugungen abzulegen, keine Likes, keine Bewertungen, keine Urteile, keine Behauptungen, nur Beschreibungen und Erzählungen von sich zu geben. Das ist zwar nicht einfach, aber man kommt ohne seine Meinungsrüstung den Dingen und den Menschen näher, verborgene Eigenschaften werden spürbar, die vielfältiger und farbiger sind und voller Widersprüche.

Daniel Strassberg, 1954 in St Gallen geboren, lebt in Zürich. Er ist Psychiater und hat in Philosophie promoviert, arbeitet seit 1985 als Psychoanalytiker und unterrichtet Philosophie an verschiedenen Universitäten. Er ist Mitbegründer des Netzwerks Entresol. Unter anderem sind von ihm die Bücher Der Wahnsinn der Philosophie. Verrückte Vernunft von Platon bis Deleuze (2014) und zuletzt Spektakuläre Maschinen. Eine Affektgeschichte der Technik (2022) erschienen. Seit 2018 schreibt er in der Onlinezeitung Republik monatlich eine philosophisch-politische Kolumne.

 

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