Langeweile ist politisch

Was ein verkanntes Gefühl über unsere Gesellschaft verrät

Ohlmeier, Silke

187 Seiten

23,00 €
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Weil Langeweile ein so verbreitetes Alltagsphänomen ist, wird sie in der Forschung immer mal wieder als demokratisches Gefühl bezeichnet. Es wird argumentiert, dass sie die Ober- wie die Unterschicht, Männer wie Frauen, weiße wie Schwarze Personen, Gesunde wie Kranke und Menschen mit sowie ohne Behinderung gleichermaßen betrifft. Für die situative Langeweile mag das stimmen, nicht aber für die chronische oder existentielle Langeweile. Denn diese ist eng verknüpft mit gesellschaftlichen Machtstrukturen. Eins ihrer Leitsymptome ist das Gefühl der Ohnmacht.88 Gelangweilte Menschen fühlen sich in der (langweiligen) Situation gefangen; sie wollen gerne einer befriedigenden Tätigkeit nachgehen, können es aber nicht. Manchmal einfach, weil sie gerade im Stau stehen. Manchmal aber auch, weil sie zu einer strukturell benachteiligten Gruppe gehören und ihnen der Zugang zu befriedigenden Tätigkeiten verwehrt bleibt. Der Soziologe Wolf Lepenies bezeichnet Langeweile in diesem Sinne sehr treffend als strukturelle Reaktion gesellschaftlich marginalisierter Gruppen. Ihre öffentliche Bedeutungslosigkeit begrenze ihre Handlungen und lasse sie gelangweilt zurück.89 Wer über vergleichsweise wenig Macht, Geld, Bildung, Ansehen und Kontakte verfügt, für die*den ist es schwerer, gesellschaftlich als erstrebenswert definierte Ziele zu erreichen. Kaum jemand möchte einen langweiligen Job machen, aber je nachdem, wie ich meine Chancen auf einen spannenderen Job einschätze, arrangiere ich mich mit der Langeweile oder eben nicht. Sie ist dann der Preis, den ich dafür zahle, wiederum meine Miete zahlen zu können. Nicht immer zeigt sich die Marginalisierung dabei direkt und plakativ. Häufig sind die gesellschaftlichen Ursachen schwer zu greifen, weil sie sich nur mühsam von persönlichen Vorlieben und bewusst getroffenen Entscheidungen trennen lassen. Es sind nicht immer externe Zwänge, sondern manchmal auch verinnerlichte gruppenspezifische Normen, die Menschen in der Langeweile verharren lassen. Etwa, wenn sich Frauen in der Rolle als Vollzeitmutter langweilen und zwar theoretisch wieder arbeiten gehen könnten, aber das nicht mit ihrem Idealbild einer guten Mutter vereinbaren können. Häufig ist es auch eine Kombination: Zusätzlich zu verinnerlichten Geschlechternormen legt ein im Vergleich zum Partner geringeres Einkommen nahe, dass die Frau zu Hause bleibt. Dass der Care-Arbeit dann auch noch gesellschaftlich weniger Wert und Bedeutung zugesprochen wird als der Lohnarbeit, bereitet den perfekten Nährboden für Langeweile. Im Unterschied zu anderen Gefühlen wird die Langeweile nämlich schwächer, je mehr Bedeutung etwas für uns hat.

LANGEWEILE TRIFFT UNS NICHT ZUFÄLLIG. Während ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau macht Silke Ohlmeier eine höchst unangenehme Erfahrung: extreme Langeweile. Ihre Umgebung reagiert belustigt bis kopfschüttelnd: Halb so wild, muss man halt durch, heißt es meistens. Doch stimmt das wirklich? Gelegentliche Langeweile gehört zum Leben, das ist richtig. Aber sich chronisch zu langweilen, ist nicht einfach nur lästig, sondern ein gesellschaftliches Problem. Scharfsinnig, unterhaltsam und mit Gespür für die feinen Unterschiede entwirft die Autorin und Langeweileforscherin eine radikal neue Perspektive auf ein altbekanntes Gefühl im Kraftfeld von Kapitalismus, Patriarchat und sozialer Ungleichheit.

Silke Ohlmeier, geboren 1986, hat nach der Schule zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau in einem Busunternehmen absolviert. Angetrieben von der Erfahrung extremer Langeweile während dieser Zeit wurde sie Soziologin und machte die Langeweile zum Thema ihrer Dissertation. Sie hat bereits drei Fachartikel zum Thema Langeweile veröffentlicht und ist Mitglied der International Society for Boredom Studies. Parallel zu ihrer Promotion arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken.

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Autor Ohlmeier, Silke
Verlag Leykam Buchverlagsges.m.b.H.& Co.KG
ISBN 9783701182701
ISBN/EAN 9783701182701
Lieferzeit 5 Werktage(inkl . Versand)
Erscheinungsdatum 25.10.2022
Lieferbarkeitsdatum 13.03.2023
Einband Gebunden
Format 2.1 x 21 x 13.5
Seitenzahl 187 S.
Gewicht 326

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Verlag Leykam Buchverlagsges.m.b.H.& Co.KG
ISBN 9783701182701
Erscheinungsdatum 25.10.2022
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Format 2.1 x 21 x 13.5
Gewicht 326

Weil Langeweile ein so verbreitetes Alltagsphänomen ist, wird sie in der Forschung immer mal wieder als demokratisches Gefühl bezeichnet. Es wird argumentiert, dass sie die Ober- wie die Unterschicht, Männer wie Frauen, weiße wie Schwarze Personen, Gesunde wie Kranke und Menschen mit sowie ohne Behinderung gleichermaßen betrifft. Für die situative Langeweile mag das stimmen, nicht aber für die chronische oder existentielle Langeweile. Denn diese ist eng verknüpft mit gesellschaftlichen Machtstrukturen. Eins ihrer Leitsymptome ist das Gefühl der Ohnmacht.88 Gelangweilte Menschen fühlen sich in der (langweiligen) Situation gefangen; sie wollen gerne einer befriedigenden Tätigkeit nachgehen, können es aber nicht. Manchmal einfach, weil sie gerade im Stau stehen. Manchmal aber auch, weil sie zu einer strukturell benachteiligten Gruppe gehören und ihnen der Zugang zu befriedigenden Tätigkeiten verwehrt bleibt. Der Soziologe Wolf Lepenies bezeichnet Langeweile in diesem Sinne sehr treffend als strukturelle Reaktion gesellschaftlich marginalisierter Gruppen. Ihre öffentliche Bedeutungslosigkeit begrenze ihre Handlungen und lasse sie gelangweilt zurück.89 Wer über vergleichsweise wenig Macht, Geld, Bildung, Ansehen und Kontakte verfügt, für die*den ist es schwerer, gesellschaftlich als erstrebenswert definierte Ziele zu erreichen. Kaum jemand möchte einen langweiligen Job machen, aber je nachdem, wie ich meine Chancen auf einen spannenderen Job einschätze, arrangiere ich mich mit der Langeweile oder eben nicht. Sie ist dann der Preis, den ich dafür zahle, wiederum meine Miete zahlen zu können. Nicht immer zeigt sich die Marginalisierung dabei direkt und plakativ. Häufig sind die gesellschaftlichen Ursachen schwer zu greifen, weil sie sich nur mühsam von persönlichen Vorlieben und bewusst getroffenen Entscheidungen trennen lassen. Es sind nicht immer externe Zwänge, sondern manchmal auch verinnerlichte gruppenspezifische Normen, die Menschen in der Langeweile verharren lassen. Etwa, wenn sich Frauen in der Rolle als Vollzeitmutter langweilen und zwar theoretisch wieder arbeiten gehen könnten, aber das nicht mit ihrem Idealbild einer guten Mutter vereinbaren können. Häufig ist es auch eine Kombination: Zusätzlich zu verinnerlichten Geschlechternormen legt ein im Vergleich zum Partner geringeres Einkommen nahe, dass die Frau zu Hause bleibt. Dass der Care-Arbeit dann auch noch gesellschaftlich weniger Wert und Bedeutung zugesprochen wird als der Lohnarbeit, bereitet den perfekten Nährboden für Langeweile. Im Unterschied zu anderen Gefühlen wird die Langeweile nämlich schwächer, je mehr Bedeutung etwas für uns hat.

LANGEWEILE TRIFFT UNS NICHT ZUFÄLLIG. Während ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau macht Silke Ohlmeier eine höchst unangenehme Erfahrung: extreme Langeweile. Ihre Umgebung reagiert belustigt bis kopfschüttelnd: Halb so wild, muss man halt durch, heißt es meistens. Doch stimmt das wirklich? Gelegentliche Langeweile gehört zum Leben, das ist richtig. Aber sich chronisch zu langweilen, ist nicht einfach nur lästig, sondern ein gesellschaftliches Problem. Scharfsinnig, unterhaltsam und mit Gespür für die feinen Unterschiede entwirft die Autorin und Langeweileforscherin eine radikal neue Perspektive auf ein altbekanntes Gefühl im Kraftfeld von Kapitalismus, Patriarchat und sozialer Ungleichheit.

Silke Ohlmeier, geboren 1986, hat nach der Schule zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau in einem Busunternehmen absolviert. Angetrieben von der Erfahrung extremer Langeweile während dieser Zeit wurde sie Soziologin und machte die Langeweile zum Thema ihrer Dissertation. Sie hat bereits drei Fachartikel zum Thema Langeweile veröffentlicht und ist Mitglied der International Society for Boredom Studies. Parallel zu ihrer Promotion arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken.

 

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