Zedern. Und Meer

Lier, Johanna

304 Seiten

30,00 €
Inkl. 7% Steuern

Lieferzeit: Vorbestellbar

Erscheint am: 21.05.2024

Bells Schritte erzeugen einen gedämpften Ton auf dem weichen Untergrund. () Der Weg führt durch den Bestand junger Zwirbelzedern. Dazwischen einige uralte, hoch aufragende Bäume, die aus dem Nadelbereich der Jungbäume herauswachsen und ihre Gestalten über den Köpfen der Kleinen entfalten. Leuchttürme. Wachtürme. Elterntürme. Sie bahnt sich einen Weg durch das Nadelwirrwarr. Am Ende jedes Astes hängen Nadelbüsche oder Nadelbündel. Nennen wir sie doch einfach Nadler, denkt Bell. Ihre Füsse suchen Halt. Stösst sie gegen eine Wurzel oder einen Stein, verlagert sie das Gleichgewicht und setzt die Wanderung fort. Der Kopf ist jedoch in Bewegung, um nichts zu übersehen, die Landschaft als Ganzes zu begreifen. Im Blick das Weiss, das Grün, das Braun - Verfärbungen auf der Netzhaut. Summt vor sich hin und ihre Lippen bilden Worte You're walking And you dont realize it But youre always falling Laurie Andersons fliessender Song, den sie sich in der Nacht zuvor angehört hat Immer wieder Catching yourself from falling Sie drückt mit dem Fuss einen der biegsamen Äste zu Boden, zieht ihn am vorderen Ende mit aller Kraft hoch, die graue Haut bricht, klafft auf und gelblich-grünes Fleisch, das einen Duft nach Bitterorange, Zitrone und Pfeffer verströmt, liegt bloss. Bell legt den Finger auf die offene Wunde. Sie steht. Hoch aufgerichtet. Den Rucksack über die rechte Schulter gehängt. Die Schulterblätter hinten am Brustkorb angelegt. Die Hände in den Taschen ihrer Jeans. Der Zedernhain erinnert an die Ufer des Mittelmeers.

Bell und Audre. Mutter und Tochter. Bell ist aus einem Netz vorsätzlicher und absichtsloser Gewalt geflohen und hat Baby Audre bei der Familie zurückgelassen. Das Mädchen wächst in der ländlichen Kleinstadt in den nördlichen Berggebieten bei ihrem Grossvater, Vater und Onkel auf. Nach 24 Jahren rastlosen Herumstreifens kehrt Bell zurück und nimmt einen Job in der Wäscherei eines Hotels an. In ihrer Freizeit durchstreift sie die Zedernwälder, vertieft sich in ihre Bücher und plant die Eröffnung eines Gästehauses. Im Mountain Plaza hofft sie, ihrer Tochter begegnen zu können. Audre, mittlerweile erwachsen, engagiert sich in einem Team aus Freiwilligen an den Aussengrenzen der nördlichen Zonen und empfängt die Boote der Transborder-Reisenden aus den südlichen und östlichen Gebieten. Eine Katastrophe und eine Nachricht von ihrem Onkel Leopold zwingen sie, ihre Pläne radikal zu ändern. In Bells Wäldern haften die Bäume nicht mehr im Boden. Auf Audres Insel stehen die Wälder in Flammen. Beide Frauen nehmen Raum in den Gedanken der anderen ein: die Abwesenheit, der Schmerz, das Nichtwissen. Johanna Lier spürt mit einer poetischen Sprache den Linien der patriarchalen Gewalt nach, die sich gegen alles und alle richtet, die Privilegien und Machtansprüche bedrohen. Vielschichtig und kompliziert durchtränkt sie das Handeln und Empfinden der Figuren. Opfer sein, Täter:in sein verschränken sich in 'Zedern. Und Meer' zu einem Geflecht aus Begehren, Verlust, Rache und Kontrolle.

Mehr Informationen
Autor Lier, Johanna
Verlag verlag die brotsuppe
ISBN 9783038671008
ISBN/EAN 9783038671008
Lieferzeit Vorbestellbar
Erscheinungsdatum 21.05.2024
Lieferbarkeitsdatum 25.11.2024
Einband Gebunden
Seitenzahl 304 S.

Weitere Informationen

Mehr Informationen
Verlag verlag die brotsuppe
ISBN 9783038671008
Erscheinungsdatum 21.05.2024
Einband Gebunden

Bells Schritte erzeugen einen gedämpften Ton auf dem weichen Untergrund. () Der Weg führt durch den Bestand junger Zwirbelzedern. Dazwischen einige uralte, hoch aufragende Bäume, die aus dem Nadelbereich der Jungbäume herauswachsen und ihre Gestalten über den Köpfen der Kleinen entfalten. Leuchttürme. Wachtürme. Elterntürme. Sie bahnt sich einen Weg durch das Nadelwirrwarr. Am Ende jedes Astes hängen Nadelbüsche oder Nadelbündel. Nennen wir sie doch einfach Nadler, denkt Bell. Ihre Füsse suchen Halt. Stösst sie gegen eine Wurzel oder einen Stein, verlagert sie das Gleichgewicht und setzt die Wanderung fort. Der Kopf ist jedoch in Bewegung, um nichts zu übersehen, die Landschaft als Ganzes zu begreifen. Im Blick das Weiss, das Grün, das Braun - Verfärbungen auf der Netzhaut. Summt vor sich hin und ihre Lippen bilden Worte You're walking And you dont realize it But youre always falling Laurie Andersons fliessender Song, den sie sich in der Nacht zuvor angehört hat Immer wieder Catching yourself from falling Sie drückt mit dem Fuss einen der biegsamen Äste zu Boden, zieht ihn am vorderen Ende mit aller Kraft hoch, die graue Haut bricht, klafft auf und gelblich-grünes Fleisch, das einen Duft nach Bitterorange, Zitrone und Pfeffer verströmt, liegt bloss. Bell legt den Finger auf die offene Wunde. Sie steht. Hoch aufgerichtet. Den Rucksack über die rechte Schulter gehängt. Die Schulterblätter hinten am Brustkorb angelegt. Die Hände in den Taschen ihrer Jeans. Der Zedernhain erinnert an die Ufer des Mittelmeers.

Bell und Audre. Mutter und Tochter. Bell ist aus einem Netz vorsätzlicher und absichtsloser Gewalt geflohen und hat Baby Audre bei der Familie zurückgelassen. Das Mädchen wächst in der ländlichen Kleinstadt in den nördlichen Berggebieten bei ihrem Grossvater, Vater und Onkel auf. Nach 24 Jahren rastlosen Herumstreifens kehrt Bell zurück und nimmt einen Job in der Wäscherei eines Hotels an. In ihrer Freizeit durchstreift sie die Zedernwälder, vertieft sich in ihre Bücher und plant die Eröffnung eines Gästehauses. Im Mountain Plaza hofft sie, ihrer Tochter begegnen zu können. Audre, mittlerweile erwachsen, engagiert sich in einem Team aus Freiwilligen an den Aussengrenzen der nördlichen Zonen und empfängt die Boote der Transborder-Reisenden aus den südlichen und östlichen Gebieten. Eine Katastrophe und eine Nachricht von ihrem Onkel Leopold zwingen sie, ihre Pläne radikal zu ändern. In Bells Wäldern haften die Bäume nicht mehr im Boden. Auf Audres Insel stehen die Wälder in Flammen. Beide Frauen nehmen Raum in den Gedanken der anderen ein: die Abwesenheit, der Schmerz, das Nichtwissen. Johanna Lier spürt mit einer poetischen Sprache den Linien der patriarchalen Gewalt nach, die sich gegen alles und alle richtet, die Privilegien und Machtansprüche bedrohen. Vielschichtig und kompliziert durchtränkt sie das Handeln und Empfinden der Figuren. Opfer sein, Täter:in sein verschränken sich in 'Zedern. Und Meer' zu einem Geflecht aus Begehren, Verlust, Rache und Kontrolle.

 

Kategorie