Über Gott und die Welt

Eine Autobiographie in Gesprächen

Spaemann, Robert

350 Seiten

25,00 €
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Erscheint am: 17.11.2011

WAS IMMER IST Kindheitserinnerungen Nächst Gott verdanke ich, wie mein Vater mir erzählte, meine Existenz der Malerin Käthe Kollwitz. Sie muss den genialischen jungen westfälischen Kunstgeschichtsstudenten, Dichter und Bauhaus-Schüler Heinrich Spaemann als Mitarbeiter der legendären 'Sozialistischen Monatshefte' kennengelernt und gemocht haben. Mein Vater war dort zuständig für Film und Varieté, also damals zum Beispiel für Charlie Chaplin, Buster Keaton, Sergej Eisenstein, Josephine Baker und den Mozart der Jongleure, Rastelli. Ich besaß als Kind einen der Bälle, die Rastelli nach der Vorstellung ins Publikum geworfen hatte. Die aus dem Schwäbischen stammende Tänzerin und Mary-Wigman-Schülerin Ruth Krämer mochte Käthe Kollwitz auch und fand, die beiden sollten einander kennenlernen. Sie stiftete den älteren Freund und Mentor meines Vaters, den Psychologen Alexander Mette (später Präsident des Psychologenverbandes der DDR), dazu an, die beiden zusammen einzuladen. Sie hatte Erfolg. In Mettes Haus allerdings ereignete sich später (es war der letzte Besuch) auch die Wende im Leben meiner Eltern, der Blutsturz meiner Mutter, der ihrer tänzerischen Laufbahn ein Ende setzte. Dass sie im Himmel wieder würde tanzen können, war ihr gewiss. Dies und ein gleichzeitiger Anfall dämonischen Wahnsinns bei Mette war der Beginn einer gänzlichen Neuorientierung meiner Eltern, die, beginnend mit der Lektüre Rousseaus über Jean Cocteaus Briefwechsel mit Maritain schließlich zum Weggang von Berlin nach Münster und am Ende in den Schoß der katholischen Kirche führte. So viel zur Vorgeschichte meiner Erinnerungen. Ergänzend ist nur noch zu sagen, dass mein Vater sich Jahre nach dem Tod meiner Mutter entschloss, Priester zu werden. Er wurde 1942 vom Bischof von Münster, Graf Galen, geweiht. Den Bericht aus diesen Erinnerungen sollte ich beginnen mit dem Vers des Psalms Laetatus sum in his quae dicta sunt mihi: In domum Domini ibimus. Meine früheste Kindheitserinnerung ist die Erinnerung an die Freude, von der in diesem israelitischen Wallfahrtslied die Rede ist - die Erinnerung an ein unbeschreibliches Wohlbehagen des Dreijährigen, der auf dem Schoß seiner Mutter liegend aufwacht beim Psalmodieren der Mönche, das ihn auch schon in den Schlaf gesungen hatte. Die Eltern meinten, es sei nun genug, und wollten aufbrechen. Aber ich bettelte sie an, noch zu bleiben. Ich konnte mich von dem Gesang mit seinen endlosen Wiederholungen nicht trennen (und kann es bis heute nicht). Es war in der Benediktinerabtei St. Josef im münsterländischen Gerleve, wo meine Eltern in die Kirche aufgenommen wurden und wo sie mich als Dreijährigen hatten taufen lassen. Mein Taufpate war der alte, bärtige Klosterbruder Radbod, der mich früh in die Geheimnisse seiner Bienenzucht einweihte, während meine Eltern im Klosterladen ihren Honigbedarf deckten. Später begleitete ich gelegentlich als Ministrant einen Mönch auf dem 'Versehgang' zu einem der umliegenden Bauernhöfe, wo es dann nach stattgehabter Zeremonie ein reichliches Frühstück gab, reichlicher, als das im Kloster üblich war. Die Verbindung zur Abtei überdauerte die Übersiedelung meiner Eltern nach Köln im Jahr 1932. Ostern feierten wir fast immer dort. 1943 wurden die Mönche vertrieben. Ich schrieb damals mein erstes Sonett in einem etwas pathetischen, von Reinhold Schneider inspirierten Stil, in dem ich mein Land dem Untergang preisgegeben sah, weil es die zehn Gerechten ausstößt, deretwegen Gott sogar Sodom und Gomorrha verschont hätte: Gerleve 1943 Das Volk, das seine Beter feig verriet, / die Erstgeborenen aus seinen Söhnen, / den eignen heiligen Namen, würd es wähnen, / den Namen selbst zu retten? Doch es flieht // aus seiner Mitte das geweihte Lied, / das seinen Namen trug und unter Tränen / den Segen Gott abrang. Nur dumpfes Stöhnen / dringt aus dem Abgrund noch und schaudernd sieht // ein Engel, wie sein Volk die zehn Gerechten / ausstößt, um derentwillen Gott vergeben / und Sodoma selb

Die Mutter war Tänzerin bei Mary Wigman, sein Vater Kunsthistoriker. Seine Eltern waren links, atheistisch und lebten in der Berliner Bohème der Zwanziger Jahre. 1942, nach dem Tod seiner Mutter, wird der Vater zum katholischen Priester geweiht. 1944 ist Spaemann bei einem Bauer untergetaucht, er ist Deserteur im eigenen Land. Entdeckt man ihn jetzt, wird er sofort erschossen. Heute ist Robert Spaemann der bedeutendste konservative Philosoph im In und Ausland. In einem langen Gespräch mit Stephan Sattler resümiert er sein Leben, ganz unter der Maxime der Suche nach dem, 'was in Wahrheit ist'. Spaemann ist der bedeutendste konservative Philosoph im In- und Ausland und bekennender Gegner der Nutzung der Atomkraft und der Genmanipulation.

InhaltsangabeVorwort WAS IMMER IST Kindheitserinnerungen 1 JUGEND IM DRITTEN REICH Leben in zwei Welten und Hinwendung zur Philosophie Indianerspiele Hayingen Ich wäre Gärtner geworden Sein und Schein 2 STUDIUM IN DER NACHKRIEGSZEIT Münster, Joachim Ritter und die Folgen Ende und Anfang 3 UM DAS JAHR 1950 Existenzialismus, das Interesse für Frankreich und die Dissertation über de Bonald Die Bombe 4 RÜCKKEHR AN DIE UNIVERSITÄT MÜNSTER Fénelon, der Freund der Mystik 5 PROFESSUREN IN STUTTGART UND HEIDELBERG Selbstbehauptung in den unruhigen sechziger Jahren Stuttgart Die 68er Jahre Ein Fronleichnamsbesuch bei Heinrich Böll 6 ANKUNFT IN MÜNCHEN Die Wiederentdeckung des teleologischen Denkens 7 DAS BEWUSSTSEIN DER ZEIT. . aus einem Horizont begreifen, der nicht durch dieses Bewusstsein definiert ist 8 ÜBER GLÜCK UND WOHLWOLLEN Das Gewissen ist kein lästiger Störenfried Zweimal Castel Gandolfo 9 NACH DER EMERITIERUNG: Eine Philosophie der Personen Ostern auf dem Athos 10 DIE ZWEI INTERESSEN DER GLOSSAR AUSGEWÄHLTE HAUPTWERKE VON ROBERT SPEAMANN

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Autor Spaemann, Robert
Verlag Klett-Cotta
ISBN 9783608947373
ISBN/EAN 9783608947373
Lieferzeit Vorbestellbar
Erscheinungsdatum 17.11.2011
Lieferbarkeitsdatum 27.09.2021
Einband Gebunden
Format 2.6 x 21.1 x 13.5
Seitenzahl 350 S.
Gewicht 446

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WAS IMMER IST Kindheitserinnerungen Nächst Gott verdanke ich, wie mein Vater mir erzählte, meine Existenz der Malerin Käthe Kollwitz. Sie muss den genialischen jungen westfälischen Kunstgeschichtsstudenten, Dichter und Bauhaus-Schüler Heinrich Spaemann als Mitarbeiter der legendären 'Sozialistischen Monatshefte' kennengelernt und gemocht haben. Mein Vater war dort zuständig für Film und Varieté, also damals zum Beispiel für Charlie Chaplin, Buster Keaton, Sergej Eisenstein, Josephine Baker und den Mozart der Jongleure, Rastelli. Ich besaß als Kind einen der Bälle, die Rastelli nach der Vorstellung ins Publikum geworfen hatte. Die aus dem Schwäbischen stammende Tänzerin und Mary-Wigman-Schülerin Ruth Krämer mochte Käthe Kollwitz auch und fand, die beiden sollten einander kennenlernen. Sie stiftete den älteren Freund und Mentor meines Vaters, den Psychologen Alexander Mette (später Präsident des Psychologenverbandes der DDR), dazu an, die beiden zusammen einzuladen. Sie hatte Erfolg. In Mettes Haus allerdings ereignete sich später (es war der letzte Besuch) auch die Wende im Leben meiner Eltern, der Blutsturz meiner Mutter, der ihrer tänzerischen Laufbahn ein Ende setzte. Dass sie im Himmel wieder würde tanzen können, war ihr gewiss. Dies und ein gleichzeitiger Anfall dämonischen Wahnsinns bei Mette war der Beginn einer gänzlichen Neuorientierung meiner Eltern, die, beginnend mit der Lektüre Rousseaus über Jean Cocteaus Briefwechsel mit Maritain schließlich zum Weggang von Berlin nach Münster und am Ende in den Schoß der katholischen Kirche führte. So viel zur Vorgeschichte meiner Erinnerungen. Ergänzend ist nur noch zu sagen, dass mein Vater sich Jahre nach dem Tod meiner Mutter entschloss, Priester zu werden. Er wurde 1942 vom Bischof von Münster, Graf Galen, geweiht. Den Bericht aus diesen Erinnerungen sollte ich beginnen mit dem Vers des Psalms Laetatus sum in his quae dicta sunt mihi: In domum Domini ibimus. Meine früheste Kindheitserinnerung ist die Erinnerung an die Freude, von der in diesem israelitischen Wallfahrtslied die Rede ist - die Erinnerung an ein unbeschreibliches Wohlbehagen des Dreijährigen, der auf dem Schoß seiner Mutter liegend aufwacht beim Psalmodieren der Mönche, das ihn auch schon in den Schlaf gesungen hatte. Die Eltern meinten, es sei nun genug, und wollten aufbrechen. Aber ich bettelte sie an, noch zu bleiben. Ich konnte mich von dem Gesang mit seinen endlosen Wiederholungen nicht trennen (und kann es bis heute nicht). Es war in der Benediktinerabtei St. Josef im münsterländischen Gerleve, wo meine Eltern in die Kirche aufgenommen wurden und wo sie mich als Dreijährigen hatten taufen lassen. Mein Taufpate war der alte, bärtige Klosterbruder Radbod, der mich früh in die Geheimnisse seiner Bienenzucht einweihte, während meine Eltern im Klosterladen ihren Honigbedarf deckten. Später begleitete ich gelegentlich als Ministrant einen Mönch auf dem 'Versehgang' zu einem der umliegenden Bauernhöfe, wo es dann nach stattgehabter Zeremonie ein reichliches Frühstück gab, reichlicher, als das im Kloster üblich war. Die Verbindung zur Abtei überdauerte die Übersiedelung meiner Eltern nach Köln im Jahr 1932. Ostern feierten wir fast immer dort. 1943 wurden die Mönche vertrieben. Ich schrieb damals mein erstes Sonett in einem etwas pathetischen, von Reinhold Schneider inspirierten Stil, in dem ich mein Land dem Untergang preisgegeben sah, weil es die zehn Gerechten ausstößt, deretwegen Gott sogar Sodom und Gomorrha verschont hätte: Gerleve 1943 Das Volk, das seine Beter feig verriet, / die Erstgeborenen aus seinen Söhnen, / den eignen heiligen Namen, würd es wähnen, / den Namen selbst zu retten? Doch es flieht // aus seiner Mitte das geweihte Lied, / das seinen Namen trug und unter Tränen / den Segen Gott abrang. Nur dumpfes Stöhnen / dringt aus dem Abgrund noch und schaudernd sieht // ein Engel, wie sein Volk die zehn Gerechten / ausstößt, um derentwillen Gott vergeben / und Sodoma selb

Die Mutter war Tänzerin bei Mary Wigman, sein Vater Kunsthistoriker. Seine Eltern waren links, atheistisch und lebten in der Berliner Bohème der Zwanziger Jahre. 1942, nach dem Tod seiner Mutter, wird der Vater zum katholischen Priester geweiht. 1944 ist Spaemann bei einem Bauer untergetaucht, er ist Deserteur im eigenen Land. Entdeckt man ihn jetzt, wird er sofort erschossen. Heute ist Robert Spaemann der bedeutendste konservative Philosoph im In und Ausland. In einem langen Gespräch mit Stephan Sattler resümiert er sein Leben, ganz unter der Maxime der Suche nach dem, 'was in Wahrheit ist'. Spaemann ist der bedeutendste konservative Philosoph im In- und Ausland und bekennender Gegner der Nutzung der Atomkraft und der Genmanipulation.

InhaltsangabeVorwort WAS IMMER IST Kindheitserinnerungen 1 JUGEND IM DRITTEN REICH Leben in zwei Welten und Hinwendung zur Philosophie Indianerspiele Hayingen Ich wäre Gärtner geworden Sein und Schein 2 STUDIUM IN DER NACHKRIEGSZEIT Münster, Joachim Ritter und die Folgen Ende und Anfang 3 UM DAS JAHR 1950 Existenzialismus, das Interesse für Frankreich und die Dissertation über de Bonald Die Bombe 4 RÜCKKEHR AN DIE UNIVERSITÄT MÜNSTER Fénelon, der Freund der Mystik 5 PROFESSUREN IN STUTTGART UND HEIDELBERG Selbstbehauptung in den unruhigen sechziger Jahren Stuttgart Die 68er Jahre Ein Fronleichnamsbesuch bei Heinrich Böll 6 ANKUNFT IN MÜNCHEN Die Wiederentdeckung des teleologischen Denkens 7 DAS BEWUSSTSEIN DER ZEIT. . aus einem Horizont begreifen, der nicht durch dieses Bewusstsein definiert ist 8 ÜBER GLÜCK UND WOHLWOLLEN Das Gewissen ist kein lästiger Störenfried Zweimal Castel Gandolfo 9 NACH DER EMERITIERUNG: Eine Philosophie der Personen Ostern auf dem Athos 10 DIE ZWEI INTERESSEN DER GLOSSAR AUSGEWÄHLTE HAUPTWERKE VON ROBERT SPEAMANN

 

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